Dem Leid Leben abtrotzen

Ein Jahr freiwilliger Dienst im Kinderhospiz

Mein FSJ im Kinderhospiz
Wenn alte Menschen sterben, stirbt mit ihnen Vergangenheit. Wenn Kinder sterben, stirbt mit ihnen ein Stück unerlebte Zukunft. Im Kinderhospiz ist der Gedanke an Tod und Trauer immer ein Stück Alltag. Es wird nicht ständig darüber gesprochen und auch nicht ständig darüber nachgedacht. Und doch ist das Leid an diesem besonderen Ort sehr präsent. Das Leid der Eltern, der Geschwister und das Leid der unheilbar und lebenslimitiert erkrankten Kinder. Ein Kinderhospiz bietet Familien mit diesem schweren Schicksal ein paar Tage im Jahr eine Auszeit. Mal Pause machen. Durchatmen. Das Leben genießen. Denn oft ist der Alltag der Familien stark geprägt von der Pflege und Betreuung der erkrankten Kinder. Es bleibt nicht viel Zeit für die Geschwister und schon gar nicht für die Eltern selbst.
Zu uns ins Kinderhospiz kommen Kinder mit den verschiedensten Krankheitsbildern. Angefangen bei unheilbaren Tumorerkrankungen bis hin zu extrem seltenen Krankheiten, die die kleinen Herzen irgendwann zum Stillstand bringen. Eines haben alle Kinder gemeinsam. Sie werden sterben. Viel zu früh. und obwohl diese Tatsache schrecklich für die Familie des Kindes ist und natürlich auch für das Kind selbst, erlebe ich die Familien unfassbar stark. Lebensbejahend. Es wird unheimlich viel gelacht bei uns. Die Kinder dürfen Blödsinn machen und auch Geschwisterkinder rücken endlich mal in den Vordergrund. Es fließen aber auch Tränen. Das Leid bricht manchmal ganz unverhofft aus den Eltern oder den Mitarbeitern heraus. Und das ist okay.  

Kinder sind Leben
In meiner Zeit im Kinderhospiz habe ich schon einiges gelernt und viel erlebt. Kinder, die noch ein Sprachvermögen besitzen, haben mich zum Lachen gebracht. Und zum Nachdenken. So hat mir ein Teenager stolz von seiner Freundin erzählt. Er meinte: "Na, wenn ich jetzt keine hab, wann dann?" Der Junge verliert seine Muskelkraft. Er ist bei vollkommen klarem Verstand und muss miterleben, wie sein Körper immer mehr aufhört zu funktionieren. Eigentlich bedrückend, oder? Die Zeit mit ihm war aber alles andere als das. Einfach, weil er auch nur ein Kind ist. Und Kinder leben. Kinder SIND Leben und das spürt man. Egal wie krank sie sind. Die Schwester des Jungen meinte bei ihrem Aufenthalt: "Ich bin froh, dass mein Bruder krank ist. Sonst könnten wir gar nicht hier Urlaub machen." Da musste ich, zugegeben, erst mal schmunzeln.  Die Geschwister der erkrankten Kinder bauen einen ganz eigenen Zugang zu der Krankheit auf. Sie ist nicht immer nur böse und macht alles kaputt. Sie macht die erkrankten Kinder nämlich richtig besonders. Wie alle Geschwister möchte man immer das haben, was der andere hat. Ein Elektrorollstuhl kann da schon neidisch machen - ist ja auch cool, so ein Teil.  

Das Leid der Geschwister
Natürlich sind die Geschwister auch manchmal traurig. Traurig, weil die Krankheit immer die Hauptrolle im Familienleben spielt. Traurig, weil viele Ausflüge spontan ins Wasser fallen, weil der Zustand des erkrankten Kindes es nicht zulässt. Ein fünfjähriges Geschwisterkind meinte während dem Spielen einmal: "Meine Schwester kann ich nicht leiden. Die nimmt Mama immer die Zeit weg." Ich glaube, dass das für die Geschwister das größte Leid darstellt. Denn so sehr die Eltern oder die alleinerziehende Mama oder der alleinstehende Papa sich auch bemühen - die größte Aufmerksamkeit gilt dem erkrankten Kind. Das ist für Erwachsene selbstverständlich. Für Kinder ist das Furchtbar unfair. Aber was ist schon fair, wenn Kinder sterben?! Trotz des Umgangs mit dem vielen Leid bei meiner Arbeit, könnte ich nirgends glücklicher sein, als im Kinderhospiz. Der Umgang mit den erkrankten Kindern gibt mir unfassbar viel zurück. Ich fühle mich erwachsener, reifer, verantwortungsbewusster. Gewappnet fürs Leben. Denn im Leben gibt es nicht immer nur Sonne. Menschen leiden und fragen sich "warum?". Ich lerne mit dem Leid umzugehen. Denn es ist nicht umgehbar. Für niemanden. Man kann mit dem Leid leben. Wir müssen es sogar. Die Familien und Kinder im Kinderhospiz sind das beste Beispiel dafür, wie viel Leben im Leid stecken kann. Und ich gebe mein Bestes es ihnen gleichzutun. Das sollten wir alle.

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