Sätze wie diese gehören zu Jonas Alltag. Meistens sind sie als Kompliment gemeint – in Wirklichkeit sind sie aber eine Form der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Warum Aussagen wie diese problematisch sind und was hinter dem Begriff „Ableismus“ steckt, erzählt uns Jonas, der an Spinaler Muskelatrophie Typ 1 erkrankt ist.
Offene Kommunikation statt Berührungsängste
Jonas erfährt in seinem alltäglichen Leben regelmäßig ableistische Verhaltensweisen seiner Umwelt. Der Begriff Ableismus bezieht sich auf Vorurteile, Diskriminierung und die Marginalisierung (Verdrängung von Individuen oder Menschengruppen an den Rand der Gesellschaft) von Menschen mit Behinderungen. Er erzählt dabei viel von seiner Schul- und Ausbildungszeit. Nicht nur sagten ihm schon früh seine Lehrer, dass er „zu behindert“ sei, um seinen Schulabschluss erfolgreich zu beenden – auch, dass er heute eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolviert, wurde ihm nicht zugetraut. Das sind klassische Beispiele für „abwertenden Ableismus“ – er manifestiert sich in negativen Vorurteilen, Unterbewertungen oder Herabsetzung von Menschen mit Behinderung.
„Das nervt brutal!“
Einen Ausbildungsplatz über den ersten Arbeitsmarkt zu finden, hat leider nicht geklappt. „Viele Unternehmen gehen davon aus, dass Menschen mit Behinderung nicht gleichwertig arbeiten können.“ Wie und was er arbeiten kann, wurde er in den Vorstellungsgesprächen aber meistens nicht gefragt. „Menschen sagen oft nichts, bevor sie etwas falsches sagen“, erzählt Jonas. Er wünscht sich offene Kommunikation und Fragen anstatt Berührungsängsten. Die Berührungsängste merkt er auch dann, wenn Menschen davon ausgehen, dass er nicht für sich selbst kommunizieren kann und seine Pflegekraft ansprechen statt ihn selbst – „das nervt brutal.“ Jonas sieht zwar über vieles hinweg, einiges nimmt er aber doch persönlich.
Gut gemeinte Worte
Ableismus äußert sich auch in einer aufwertenden Form, die Jonas genauso häufig erfährt. Aussagen wie „super, wie viel du unterwegs bist!“ oder „toll, dass du trotz deiner Einschränkungen eine Ausbildung machst!“, versteht er nicht. Denn wieso gelten diese alltäglichen Dinge bei ihm als besonders oder bewundernswert? Vor allem in den sozialen Medien begegnet Jonas oft aufwertendem Ableismus in den Kommentarspalten. Trotzdem nutzt er bewusst ein öffentliches Profil, um gegen Vorurteile anzukämpfen. Er bewundert die Aktivisten, die sich für die Aufklärung über Ableismus einsetzen, auch wenn er manchmal ihre Ansätze zu drastisch findet.
Bewusstsein schaffen
Beide Formen des Ableismus tragen zur Marginalisierung von Menschen mit Behinderungen bei und können sich negativ auf ihr Selbstwertgefühl, ihre Möglichkeiten und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auswirken. Es ist wichtig zu erkennen, dass sowohl aufwertender als auch abwertender Ableismus schädlich sind und Menschen mit Behinderungen in ihrer Selbstachtung, ihren Möglichkeiten und ihrem sozialen Leben beeinträchtigen können. Jonas‘ Geschichte verdeutlicht die Herausforderungen, denen Menschen mit Behinderungen täglich gegenüberstehen, aber auch ihre Stärke und ihren Mut, sich gegen Diskriminierung zu behaupten.
Wie man richtig handelt
Um Ableismus zu reduzieren, ist es wichtig, sich bewusst zu hinterfragen: Verhalte ich mich ableistisch? Behandle ich Menschen mit Behinderung anders? wie bewerte ich das, was sie tun? Indem wir uns selbst überlegen, wie wir mit Menschen mit Behinderungen umgehen, und offen mit ihnen kommunizieren, können wir Barrieren abbauen und ein inklusiveres Umfeld schaffen. Gesellschaft bedeutet, jedes Mitglied davon gleich zu behandeln und Vielfalt und Unterschiede zu feiern, anstatt sie zu diskriminieren oder zu bemitleiden.
Vortrag im Haus der Begegnung
Jonas ist schon seit vielen Jahren regelmäßig Gast im Kinderhospiz St. Nikolaus und engagiert sich auch privat für Kinderhospizarbeit und die Aufklärung über Ableismus. Im September ist er wieder bei uns in Bad Grönenbach zu Gast und hält im Rahmen seines Aufenthalts den Vortrag „Ableismus erkennen und verstehen“ (Mittwoch, 4. September 2024, 19.30 Uhr).