Seit 18 Jahren besucht uns Mia Radić als Kind mit lebensverkürzender Erkrankung als Gast im Kinderhospiz, gemeinsam mit ihrer Familie. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kinderhospizes hat ein Gast auch gleich ein Praktikum bei uns gemacht (Link zu Mias Praktikumsbericht). Geht das? Na klar!
Mia hat seit ihrer Geburt Spinale Muskelatrophie Typ 1, ein genetische bedingte Muskelerkrankung. Sie sitzt im Rollstuhl, steuert ihn mit den Fingern, bedient Geräte mit den Augen und hat eine Trachealkanüle, über die sie rund um die Uhr beatmet wird. Eine Pflegekraft ist bei ihrem Praktikum dabei, unter anderem um regelmäßig Speichel abzusaugen.
Das Kinderhospiz: wichtiger Rückzugsort für die Familie
Als Mia vier Monate alt war, bekamen ihre Eltern die Diagnose und eine Prognose: Lebenserwartung etwa zwei Jahre. Ein Schock für die Eltern, die seitdem kämpfen. Dass Mia mittlerweile 18 ist – für Mutter Marta "ein Wunder", wie sie sagt. Niemand kann genau beantworten, woran das liegt. Seit 2008 kommt Familie Radić aus München fast jedes Jahr zu Entlastungsaufenthalten in das Kinderhospiz St. Nikolaus. Die einzige Ausnahme war das Jahr, in dem Mias sechs Jahre jüngere Schwester Lea geboren wurde. Das beste am Aufenthalt? Die Antwort von Vater Igor kommt prompt: "Schlafen."
Vertrauen zum Pflegepersonal
Das Kinderhospiz sei in den letzten 18 Jahren der einzige Ort, an dem die Eltern Mia auch mal eine gewisse Zeit allein gelassen haben. Letztes Jahr haben die Eltern Mia für drei Tage und Nächte in die Obhut des Kinderhospizes übergeben, "zum ersten Mal in ihrem Leben", wie der Vater erzählt. "Wir machen nie zusammen Urlaub. Entweder gehe ich mit Lea oder meine Frau geht mit Lea". Auch heuer gönnen sich die Eltern die gemeinsame Auszeit, diesmal für zwei Nächte, in denen sie Zeit für sich und für einander haben. Das Kinderhospiz St. Nikolaus sei der einzige Ort mit Menschen, zu denen sie das Vertrauen haben, das zu machen. Und Mia? "Sie fühlt sich hier wie zuhause", sagt die Mutter. "Sie freut sich riesig, ihr Blick ist total anders als in München."
"Machen viel Blödsinn"
Auch Mias kleine Schwester Lea genießt die Familienaufenthalte im Kinderhospiz, sie hat sogar schon eigenständig Geschwisterseminare besucht. Sie geht aus Sicht der Eltern generell sehr gut um mit der besonderen familiären Situation. Das Wichtigste: "Sie schämt sich nicht. Sie zeigt immer: 'Mia ist meine Schwester#. Sie mag Mia total gern", erzählt ihre Mutter. "Sie lackiert ihr die Nägel, sie schminkt sie heimlich. Die beiden machen viel Blödsinn", lacht sie.
Praktikum für die Schulausbildung in der FOS
Neben dem Blödsinn jetzt der Ernst des Lebens: Mias Praktikum im Kinderhospiz sehen die Eltern als sehr positiv. Sie ist jetzt in der 11. Klasse der Fachoberschule „Pfennigparade“ in München, einer inklusiven Schule für Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf und speziellen Angeboten für Körperbehinderte. Sie besucht dort den sozialen Zweig. Mehrere Praktika sind dort Pflicht. Das Praktikum im Kinderhospiz soll nach Möglichkeit angerechnet werde. "In München gibt es nicht so viele Möglichkeiten", sagt die Mutter. "Ich habe es versucht, aber in München ist es ein wirklich sehr großer Kampf, ein Praktikum zu bekommen. Dass das hier geklappt hat, ist für Mia sehr gut, auch für die Erfahrung."
Starke Eltern mit unterschiedlicher Meinung
Mias Vater sieht die Situation bemerkenswert differenziert: "Ich finde, Mia ist schon auch ein bisschen faul. Sie sollte sich mehr bemühen, selbständiger zu werden." Besonders weil man nicht wisse, wie lange sie beide als Eltern noch da sind, um sich um alles zu kümmern. Pflegekräfte werden zwar bei Mia immer nötig sein, aber die Pflegekräfte seien keine Arbeitshilfe. Umso wichtiger sind seiner Meinung nach die Praktika, "damit sie kapiert, dass sie sich da Gedanken machen muss". Sie sei jetzt 18 und könne selbst entscheiden, wie es weiter geht. Mias Mutter ist etwas anderer Meinung. Sie sieht Mias Möglichkeiten begrenzt. Alleine schon die Augensteuerung ihrer Geräte sei wahnsinnig anstrengend. "Sie ist nicht faul. Was sie kann, das macht sie," so die Mutter. Auf den ersten Blick eine Meinungsverschiedenheit, wie bei vielen anderen Eltern von Jugendlichen auch. Allerdings mit einer meist völlig anderen Dimension von Zukunftsängsten.